Sie wurden kürzlich zum Bildungs- und Jugendminister in Frankreich ernannt. Was sind Ihre Schwerpunkte in der Kinder- und Jugendpolitik im „Europäischen Jahr der Jugend“ und für die kommende Legislaturperiode?

Pap Ndiaye: Für mich hat der gemeinsame Aufbau eines engagierten Schulwesens absolute Priorität, damit unsere Jugend Vertrauen in ihre Zukunft haben kann, damit sie sich emanzipieren und am öffentlichen Leben teilnehmen kann und es jungen Menschen gut geht.

Wir machen uns die im Europäischen Jahr der Jugend 2022 aufgezeigten Perspektiven zu eigen: Allen jungen Menschen, insbesondere denjenigen mit besonderem Förderbedarf, wollen wir helfen, die Auswirkungen der Corona-Krise zu überwinden und sich sozial, beruflich und persönlich weiterzuentwickeln. Die Initiative des Europäischen Parlaments ruft uns auch dazu auf, die digitalen Kompetenzen, Fort- und Weiterbildungsmöglichkeiten, das Engagement der jungen Generation für den Umweltschutz sowie die Inklusion junger Menschen mit Behinderungen auszubauen. Damit sie zu emanzipierten Bürger:innen werden, wollen wir Kindern und Jugendlichen eine Stimme geben und ihr zivilgesellschaftliches Engagement fördern. Die vom französischen Staatspräsidenten angekündigte neue Methode, wie das in Zukunft geschehen soll, veranschaulicht diesen Anspruch ganz hervorragend. Mit der in Kürze beginnenden Konsultation in Schulen geben wir jungen Menschen eine Stimme. Auch das Thema Chancengleichheit liegt mir sehr am Herzen: Um Ungleichheiten nach der Geburt, im weiteren Leben sowie in geografischer und sozialer Hinsicht zu bekämpfen, möchte ich eine gezielte Politik entwickeln, damit das Schulwesen allen die besten Chancen auf Erfolg bietet.

Engagierte Schulen sind auch Bildungseinrichtungen, die sich voll und ganz der Welt und den sozialen Herausforderungen verschreiben. Es geht zunächst um die Herausforderungen, die der ökologische Wandel mit sich bringt. Das haben wir diesen Sommer sehr direkt bei den dramatischen Bränden und Hitzewellen erleben müssen. Schulen müssen sich mit diesen Herausforderungen anhand von Lerninhalten auseinandersetzen. Sie müssen organisatorisch und gebäudetechnisch aber auch als Lebensräume verstanden werden. Mit so genannten „Umweltdelegierten“ sollen Schüler:innen eine kraftvolle Stimme zu diesen Themen haben.

Schließlich werden wir all unsere Bemühungen daransetzen, den Lehrberuf attraktiver zu machen. Denn fest steht: Ohne Lehrkräfte können wir nichts bewegen. Es geht auch darum, unserer Jugend Lust auf pädagogische Berufe zu machen.

Wie möchten Sie dazu beitragen, die Herausforderungen zu bewältigen, denen sich junge Menschen gegenübersehen, wenn sie – insbesondere nach der Pandemie – mit neuen Krisen konfrontiert sind?

Pap Ndiaye: Die pandemische Lage ist zu Beginn des neuen Schuljahres für Kinder und Jugendliche entspannter als es in den beiden vorangegangenen Schuljahren der Fall war. Die beispiellose Krise hat junge Menschen in Ausbildung erschüttert und ihre Integration in den Arbeitsmarkt, ihr soziales Leben ebenso wie ihr bürgerliches Engagement beeinträchtigt.

Dass unsere Schüler:innen Lernfortschritte machen und Kontakte untereinander sowie zu den Akteuren im Bildungsbereich aufrecht erhalten konnten, ist der Weiterentwicklung des digitalen Lernens zu verdanken. Wir müssen also auf diesen Errungenschaften aufbauen und die digitalen Kompetenzen unserer Schüler:innen stärken.

Darüber hinaus halte ich es auch für wesentlich, den Zugang zu Beschäftigungsverhältnissen zu verbessern, damit alle jungen Menschen ihren Platz in der Gesellschaft finden – unabhängig von den individuellen Wünschen, Schwierigkeiten oder Lebenswegen. Gemeinsam mit Carole Grandjean, französische Ministerin für allgemeine und berufliche Bildung, werden wir an einer Reform des Ausbildungswesens arbeiten. Wir wollen erreichen, dass sich Berufsschulen und Unternehmen in den einzelnen Berufszweigen annähern. Hier werden wir die Entwicklungen des dualen Ausbildungssystems in Deutschland weiterhin sehr aufmerksam verfolgen.

Gemeinsam mit Sarah El Haïry, Staatssekretärin für Jugend und Nationaldienst, werden wir uns besonders auf die allgemeine Dienstpflicht konzentrieren. Sie hat seit 2019 bereits 60.000 Freiwillige auf ihrem Weg ins zivilgesellschaftliche Engagement begleitet und unterstützt.

Schließlich geht es auch darum, dass unsere jungen Menschen mehr Mobilität wagen und wir diese Mobilität auch anerkennen. Das gilt für Berufsschüler:innen, die sich für die Mobilitätsoption entscheiden, aber auch für die Spezialisierung auf Europa und Internationales, die ab diesem Schuljahr an allgemein- und berufsbildenden Schulen gewählt werden kann. Bei der Mobilität von Sekundarschüler:innen werden wir uns besonders auf die Programme des DFJW sowie auf Erasmus+ stützen.

Mit Blick auf das 60-jährige Bestehen des Élysée-Vertrags und des Deutsch-Französischen Jugendwerks, dessen Verwaltungsrat Sie gemeinsam mit Ihrer deutschen Amtskollegin Lisa Paus vorsitzen: Welche Schwerpunkte sollten in der deutsch-französischen Zusammenarbeit gesetzt werden, damit das Tandem Europa weiterhin inspirieren kann? 

Pap Ndiaye: Seit der Unterzeichnung des Élysée-Vertrags und der Gründung des DFJW im Jahr 1963 stand die Jugend immer im Mittelpunkt der deutsch-französischen Zusammenarbeit. Unser gemeinsamer Wille, das deutsch-französische Paar zum Motor Europas zu machen, wurde in dieser Hinsicht mit dem Vertrag von Aachen vom Januar 2019 und mit der Einrichtung des Deutsch-Französischen Bürgerfonds gestärkt.

Denn im Jahr 2023 feiern wir nicht nur 60 Jahre Élysée-Vertrag, sondern auch 60 Jahre DFJW.

Die Verlängerung des DFJW-Wiederaufnahmeplans bis Ende 2025 mit einem Gesamtbudget von 17,8 Millionen Euro ermöglicht es, gemeinsam mit unseren deutschen Freund:innen zu zeigen, dass wir alle Hebel in Bewegung gesetzt haben, um der jungen Generation neue Perspektiven für den Zugang zur Mobilitätsangeboten oder zu internationalen Austauschprogrammen und damit für interkulturelle und europäische Erfahrungen zu schaffen.

Vor dem Hintergrund der Zeit nach der Pandemie und seit dem Krieg in der Ukraine möchten Frankreich und Deutschland so junge Menschen motivieren, ihr soziales Engagement fördern, ihnen den Einstieg ins Berufsleben erleichtern und ihr Vertrauen in die Demokratie in einem starken und geeinten Europa stärken.

Hier geht's zu unserem September-Newsletter.