Die deutsch-französische Zusammenarbeit ist in Ostdeutschland auch mehr als 30 Jahre nach der Wiedervereinigung nur wenig präsent, sei es in der Wirtschaft, im Tourismus oder im deutsch-französischen Jugendaustausch. Wie können wir mehr Frankreich nach Ostdeutschland bringen? 

Katja Meier: Jedes Land in Deutschland braucht ein individuelles Konzept für den Aufbau und die Pflege der Kontakte und der Zusammenarbeit mit Frankreich. Die interregionalen Beziehungen sind essentiell für das Gelingen der europäischen Einigung. Gerade mit Blick auf Frankreich sollten die Länder des Ostens auf die „ostdeutschen“ Besonderheiten eingehen. Wie die Studie zur ostdeutsch-französischen Zusammenarbeit darlegt, muss eine Kooperation ohne direkte gemeinsame Grenze andere Schwerpunkte haben als beispielsweise die Frankreichstrategie des Saarlandes. Was nicht bedeutet, dass man sich von den Strategien Baden-Württembergs oder des Saarlandes nicht inspirieren lassen kann. Hier in Sachsen arbeiten wir intensiv an unserer Frankreich-Strategie. Dafür nehmen wir die konkreten bestehenden Kontakte als Ausgangspunkt: öffentlichen Einrichtungen, Schulen, Vereine mit Frankreichbezug. In einem nächsten Schritt haben wir die politischen Interessenschwerpunkte mit den Partnerinnen und Partnern in Frankreich identifiziert – in unserem Fall mit der Region Okzitanien. So konnte ich im letzten Jahr mit meiner Amtskollegin aus Okzitanien, Nadia Pellefigue, einige wichtige Gemeinsamkeiten zwischen Sachsen und Okzitanien finden: Die gemeinsamen Erfahrungen als Grenzregion, der „Kampf gegen Rechtsextremismus“, aber auch der Fokus auf Jugend und Kultur. Diese Schwerpunkte werden wir gemeinsam verfolgen und unsere Regionalpartnerschaft darauf aufbauen.

Die Zusammenarbeit zwischen den Regionen in Frankreich und den Bundesländern in Deutschland hat eine lange Tradition. Welchen Vorteil sehen Sie in dieser regionalen Zusammenarbeit?

Nadia Pellefigue: Okzitanien ist eine innovative Region, die 3,5 % ihres BIP in Forschung und Entwicklung investiert. Zu dieser Zahl tragen unsere Industriezweige wie die Luftfahrtindustrie mit 800 Unternehmen, darunter auch Airbus mit Sitz in Toulouse, bei.  So sind historische und natürliche Verbindungen zu Bundesländern wie Hamburg entstanden. Mit Sachsen hatten wir bislang weniger Austausch, aber ich sehe hier viel Potenzial für eine vielversprechende Zusammenarbeit! Sachsen und Okzitanien sind zwei Grenzregionen mit einer dynamischen Wirtschaft, Kultur, Hochschulbildung und Forschung. Beim letzten Punkt denke ich natürlich an die Technische Universität Dresden oder auch an die starke Präsenz der Fraunhofer-Institute.

Im Juli 2021 übernahmen Sie den Vorsitz der Europaminister:innenkonferenz der Länder (EMK). Welches Fazit ziehen Sie am Ende dieses besonderen Mandats?

Katja Meier: Die vergangenen 12 Monate haben deutlich gezeigt, wie wichtig Europa und unsere Arbeit für Europa ist. Wir stehen mehreren Krisen gleichzeitig gegenüber: Corona, die Klimakrise und der völkerrechtswidrige Angriffskrieg auf die Ukraine sind nur die drängendsten davon.

Sachsen hat sich zu Beginn des Vorsitzes ein Programm mit fünf Schwerpunkten gegeben: grenzübergreifende und grenzüberschreitende Zusammenarbeit, Rechtstaatlichkeit, Flucht und Migration, Unionsbürgerschaft, der Europäische Green Deal und die Klimakrise.

Diese Schwerpunkte wurden um aktuelle Themen ergänzt. Im Rahmen der EMK haben wir uns eingehend damit befasst: Ich habe zum einen mit den anderen Ministerinnen und Ministern sowie hochrangigen Gästen diskutiert, wir haben unsere Handlungsmöglichkeiten ausgelotet und Beschlüsse gefasst. Zum anderen haben wir diese europäischen Themen in die Öffentlichkeit getragen: Besonders denke ich dabei an das Deutsch-Polnische-Jugendforum am Rande der 87. EMK in Chemnitz. Die Appelle der Jugendlichen an die Ministerinnen und Minister, ihren Standpunkt zur Klimakrise, zur Geschlechtergerechtigkeit, zum Medienpluralismus ernst zu nehmen, sind mir noch deutlich in Erinnerung.

Der Krieg in der Ukraine und die damit einhergehenden Gewalt- und Gräueltaten haben die zweite Hälfte unseres Vorsitzjahres bestimmt. Neben dem Beschluss, den wir gleich nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine am 25. Februar 2022 auf den Weg gebracht haben, folgte eine vertiefte inhaltliche Auseinandersetzung auf der 89. EMK in Brüssel zusammen mit dem Botschafter der Ukraine bei der Europäischen Union, Vsevolod Chentsov. Es hat mich tief beeindruckt, wie der Botschafter deutlich unterstrichen hat, dass wir kontinuierlich immer wieder für die europäische Idee und die europäischen Werte werben müssen.

Dies würde ich gern als Fazit ziehen: Wir müssen im Gespräch darüber bleiben, in was für einem Europa wir leben wollen und was uns dieses Europa bedeutet.

Mit seinen Partnern in Okzitanien und Sachsen versucht das DFJW mehr junge Menschen für das Partnerland zu begeistern. Welche Zukunft wünschen Sie sich für diese regionale Partnerschaft?

Nadia Pellefigue: Ich freue mich sehr über die Verbindung mit Sachsen. Wir sind zwei Grenzregionen mit gemeinsamen europäischen Werten wie Solidarität und einem großen Sinn für Umweltschutz. Wir möchten auf der vorhandenen Dynamik für junge Menschen mit besonderem Förderbedarf aufbauen, aber auch Studierende für Aufenthalte gewinnen. Dabei stützen wir uns auf die Akteure in der Region. Sie leisten hervorragende Arbeit. Ich denke an den Verein Roudel und seine Partner wie Europa-Direkt e. V. Ich möchte auch die Chancen und Möglichkeiten erwähnen, die das DFJW mit seinen vielfältigen Finanzierungsinstrumenten bereithält, wie beispielsweise der Deutsch-Französischer Freiwilligendienst in Gebietskörperschaften.

Wir möchten auch die Verbindungen zwischen Gemeinden in Okzitanien und Sachsen stärken und gemeinsam das Partnerschaftskonzept neu erfinden: mehr wirtschaftliche Zusammenarbeit, mehr Best-Practice-Austausch, insbesondere im Kampf gegen den Klimawandel und für die Energiewende.

Bei unserem Treffen im November mit Katja Meier stellten wir viele Gemeinsamkeiten in Sachen Umweltschutz und Humanismus fest. Auch Aktionen gegen Rassismus und für Toleranz könnten wir zusammen in Angriff nehmen.

Im Herbst 2021 hat das DFJW in Toulouse ein Regionalnetzwerk für Jugendsozialarbeiter:innen aus Sachsen und Okzitanien gegründet. Sie berichteten bei der Eröffnung von der angestrebten Regional-Partnerschaft mit Okzitanien. Welche Zukunft sehen Sie für dieses Vorhaben?

Katja Meier: Ich bin von dem großen Potenzial und den Möglichkeiten einer französischen Regionalpartnerschaft mit der Region Okzitanien überzeugt. Es ist mir ein Anliegen, dass wir ein mit konkreten Projekten gefülltes Abkommen unterzeichnen. Deshalb bin ich auch persönlich im Oktober letzten Jahres nach Toulouse gereist. Wir haben bereits Themen für die Zusammenarbeit definiert: Jugend, Kultur, Gleichstellung und auch die Industriepolitik sollen eine besondere Rolle spielen. Die Regionalpartnerschaft mit Okzitanien ist auch als Ziel in unseren europapolitischen Schwerpunkten der Staatsregierung verankert worden.

Auf zivilgesellschaftlicher Ebene beteiligen wir uns bereits seit dem letzten Jahr aktiv im Rahmen der deutsch-französischen Festwochen der Region Okzitanien. Dieses Jahr soll eine gemeinsame Ausstellung in der Porzellanmanufaktur in Meißen stattfinden. Dabei soll Steingut aus der französischen Stadt Martres-Tolosane (in Okzitanien) gemeinsam mit Meissener Porzellan ausgestellt werden.

Die deutsch-französischen Wochen in Okzitanien (Quinzaine franco-allemande de l'Occitanie) sind mittlerweile ein Highlight in der Region. Können Sie uns mehr über die diesjährige Ausgabe erzählen?

Nadia Pellefigue: Die deutsch-französischen Wochen in Okzitanien gibt es seit 2017. Sie wurden zu einem Zeitpunkt ins Leben gerufen, als nationalistische Tendenzen immer mehr Zulauf bekamen und sich junge Menschen zunehmend von Europa abwendeten. Es gab den Wunsch, dass sich die Menschen kennenlernen und einander annähern. Die konkrete Idee entstand dann bei einem Treffen zwischen Marie-France Marchand-Baylet, Vorsitzende der Stiftung Groupe Dépêche, und dem damaligen deutschen Botschafter. Die Region Okzitanien war sofort dabei. Die deutsch-französischen Wochen verfolgen ein ganz simples Ziel: Wir wollen die deutsch-französische Freundschaft feiern, sie auf die Zukunft ausrichten und zeigen, wie vielfältig unsere Verbindung ist. Ich denke dabei an die Kultur, die Akteure in den Bereichen Bildung, Gesundheit und in der politischen Bildungsarbeit. Gleichzeitig sind die deutsch-französischen Wochen auch eine Gelegenheit, um unsere wirtschaftlichen Beziehungen zu stärken. Die Feierlichkeiten finden jedes Jahr abwechselnd in Okzitanien und Deutschland statt. Nachdem die letzte Ausgabe im Jahr 2021 in Okzitanien organisiert wurde, ist 2022 Deutschland für die vierte Ausgabe an der Reihe. Sie beginnt am 17. November in der Französischen Botschaft in Berlin und endet am 30. November 2022 in Hamburg. Mehr als 60 Veranstaltungen sind schon in Vorbereitung. Wer noch teilnehmen möchte, kann sich bis zum 15. September unter https://15francoallemandeoccitanie.fr/ bewerben.

 

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