Die Ukraine ist mit einem Krieg konfrontiert und viele mussten, wie Sie, das Land verlassen. Wie geht der National Youth Council in der Ukraine (NYCU) mit dem Krieg und seinen Folgen für junge Menschen um?

Natalia Shevchuk: Ja, Millionen von Menschen sind gezwungen, aus ihrem Land zu fliehen, und wir haben Glück, dass wir in den Aufnahmeländern rundum unterstützt werden. Aber wir sollten auch an die Aktivisten denken, die in der Ukraine geblieben sind und flexibel genug waren, um humanitäre Hilfe auszuliefern, aber auch Schutzausrüstungen und Proviant für die ukrainischen Soldaten. Der NYCU ist nicht schwerpunktmäßig damit befasst, junge Flüchtlinge aus der Ukraine oder junge Menschen in der Ukraine direkt zu unterstützen. Wir handeln innerhalb unseres Auftrags und versuchen, Lösungen zu finden, um unseren Mitgliedorganisationen zu helfen, damit sie jungen Menschen in Not unmittelbar Beistand leisten können. Zunächst einmal haben wir uns darauf konzentriert, einen Teil unseres Teams umzusiedeln und erforderliche Verwaltungsprozesse umzustrukturieren, damit wir unsere Arbeit überhaupt fortsetzen können. Viele unserer Projekte sind unterbrochen. Ende Februar haben wir zum Beispiel die Auswahl der Jugendhauptstadt der Ukraine 2023 vorbereitet und unter den zehn Städten, die in die engere Auswahl gekommen sind, befinden sich Butscha und Mariupol. Es wird sehr schwierig, eine passende Lösung zu finden, um die Erinnerung an diese Städte und all die Menschen zu wahren, die im russischen Genozid umgekommen sind, und zugleich den Wettbewerb zu erhalten, damit er als Werkzeug für die Jugendbeteiligung nicht aus dem Jugendsektor verschwindet. Die Situation bei der Initiative kinder- und jugendfreundliche Gemeinde gestaltet sich ähnlich. Wir können nicht nur an der Jugendbeteiligung arbeiten, sondern müssen uns für einen „Marshallplan im Bereich der Jugendarbeit“ einsetzen, in dem Jugendorganisationen die wichtigste Inspiration für den Wiederaufbau der Ukraine und den Pool für qualifizierte Arbeitskräfte bilden, die qualitative Reformen vorantreiben. Wir müssen uns mit vielen anderen Folgen befassen wie Kriegsverbrechen, etwa die Massenvergewaltigungen von Kindern, Mädchen und jungen Frauen. Ein einzelner Jugendaustausch wird nicht helfen und wir müssen im Hinterkopf behalten, dass der Krieg allein bereits ein enormes Trauma für heutige und künftige Generationen ist. Das Bildungsniveau kann aufgrund von 2 Jahren Covid-Lockdown und nun dem Krieg in der Ukraine, die die Bildungsbedingungen verschlechtern, sinken. Auch die Frage nach Arbeitsplätzen und einer fairen Bezahlung wird aufgeworfen.

Kurz gesagt, wir versuchen in dieser Situation Lösungen zu finden, wie wir den NYCU als Institution und Akteur auf dem Gebiet der Jugendarbeit retten, wie Jugend-NGOs unterstützt werden und was für einen Plan zur Rückkehr zur Normalität wir als „Marshallplan im Bereich der Jugendarbeit“ entwickeln können. Zugleich könnte humanitäre Hilfe für NGOs bis mindestens Ende dieses Jahres immer noch interessant sein, da die Hilfslieferungen zurückgehen, aber weiterhin Bedarf an Nahrung und grundlegenden Hygieneartikeln besteht.

In der Ukraine herrscht Krieg. Die Jungen Europäischen Föderalisten und les Jeunes Européens France erinnern daran, dass die Europäische Union ein Friedensprojekt ist. Wie koordinieren Sie Ihre Arbeit für Jugendlichen in der Ukraine mit Ihren europäischen Partnern?

Clara Föller: Der Austausch mit unserem Dachverband, der JEF Europe sowie auch mit anderen JEF Sektionen in anderen Ländern ist bei uns durch regelmäßige transnationale Austauschformate sehr lebhaft, freundschaftlich und vor allem kooperativ. Daher konnten wir als JEF sehr schnell gemeinsame Forderungen, wie die nach dem EU-Beitritt der Ukraine, Georgiens und Moldawiens entwickeln, unsere gängigen Formate (Podiumsdiskussionen, eine Kampagne zum Motto #DemocracyUnderPressure etc.) auf die Situation anpassen und diese europaweit lautstark vertreten. Vor allem durch die Organisation des #YouthResponseUkraine Meetings Mitte März in Budapest, bei dem Jugendorganisationen und Jugendringe aus verschiedenen europäischen Ländern (auch Ukraine und Belarus) vertreten waren, konnten wir gegenseitig auf die individuellen Bedürfnisse aufmerksam machen und gemeinsam nach Lösungen suchen.

Antoine Chabal: Die Europäische Union ist ein Projekt des Friedens und dieses Projekt steht im Mittelpunkt unseres Engagements. Insbesondere im Rahmen unserer Kampagne #DemocracyUnderPressure unterstreichen wir jedes Jahr unsere Verbundenheit mit Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, zwei Grundvoraussetzungen für die Friedenssicherung. Der Krieg in der Ukraine ist für uns alle eine Erinnerung daran, dass Frieden keine Selbstverständlichkeit ist und dass er verteidigt werden muss. Genau das tut das ukrainische Volk und alle, die es unterstützen. Wir haben sofort die Dringlichkeit gespürt, den Menschen in der Ukraine das Rückgrat zu stärken, insbesondere der Jugend und der Zivilgesellschaft. Mit unseren rund dreißig lokalen Sektionen überall in Frankreich, ebenso wie mit unseren lokalen, nationalen und europäischen Partnern haben wir eigene Initiativen eingeleitet und viele andere unterstützt.

Obgleich es in jedem Fall gut ist, Initiativen zu ergreifen und zu fördern, mussten wir uns sehr schnell untereinander abstimmen. Zunächst einmal durch den Dialog: Wir haben uns mit unseren europäischen Partnerorganisationen ausgetauscht, insbesondere mit unseren Mitstreiter:innen der JEF Europa überall auf dem Kontinent, unter anderem in der Ukraine selbst. Wo dies möglich und erforderlich war, haben wir unsere Anstrengungen mit französischen und europäischen Jugendverbänden gebündelt, aber auch unsere Partner zusammengebracht und unsere Kommunikation abgestimmt. So haben wir beispielsweise mit den JEF Deutschland und den JEF Europa die Sitzung in Budapest und die darauffolgende Arbeit der europäischen Jugendverbände, insbesondere in Osteuropa, mitgetragen. Dieses Projekt, das erst durch die finanzielle Unterstützung des DFJW möglich wurde, hat genau das zum Ziel: die Arbeit unserer Organisationen zu koordinieren.

Diese Koordination war auch erforderlich, um sicherzustellen, dass wir mit unseren Aktionen und unserer Kommunikation nichts und niemanden in Gefahr bringen.

Arbeiten internationale Jugendorganisationen mit dem NYCU zusammen?

Natalia Shevchuk: Ja, wir arbeiten mit internationalen Jugendorganisationen und nationalen Jugendräten verschiedener Länder zusammen. Im März halten wir dank des DFJW, der JEF France und Deutschland, der JEF Europa, des DBJR und des CTR (Jugendrat Rumäniens) eine Jugendnothilfe-Sitzung ab, um die Bedürfnisse von jungen Menschen anzugehen. Es wurden auch diverse Folgesitzungen veranstaltet. Die Leitung des NYCU stellte auch verschiedene Anträge auf Konsultationen und mögliche Hilfsleistungen. Und wir müssen sicher stärker in diese Richtung gehen, da die meiste Unterstützung von internationalen Organisationen kommen wird.

Wie können Verbände und die Zivilgesellschaft junge Menschen in der Ukraine unterstützen?

Clara Föller: Auf ganz unterschiedliche Art und Weise, vor allem aber alle so, wie sie es am besten können. Es gibt beispielsweise viele große Jugendverbände, die sich derzeit in Richtung humanitäre Hilfe und die Aufnahme und Integration Geflüchteter aufstellen. Wieder andere, eher politische Jugendverbände, machen aktuell vor allem mit politischen Forderungen und Advocacy-Aktionen Druck. Wichtig ist, dass wir als Zivilgesellschaft breit aufgestellt bleiben, auf diesen verschiedenen Ebenen aktiv sind und nicht nachlassen, auf die Situation der Menschen in der Ukraine aber auch in den Nachbarstaaten (bspw. Moldau) aufmerksam zu machen und aktive Hilfe leisten. Wichtig ist aber auch, uns schon heute zu überlegen, wie wir mittelfristig auch wieder zum Aufbau eines nachhaltigen Friedens beitragen können. Bei allem was ansteht: Jugendverbände und Zivilgesellschaft stehen hier mit ihrer Expertise und Kompetenzen beratend und helfend zur Seite.

Antoine Chabal: Zunächst einmal ist es wichtig, dass wir unsere Unterstützung für das ukrainische Volk noch einmal klar bekräftigen und mit aller Entschiedenheit den unfairen und untragbaren Krieg des Putin-Regimes verurteilen.

Anschließend müssen wir die katastrophalen Auswirkungen des Kriegs in der Ukraine, auch für die Jugend, erkennen und ermessen. Ausnahmslos leiden alle unter seinen Folgen. Es geht darum, unter Berücksichtigung der vor Ort zum Ausdruck gebrachten Bedürfnisse durch Sach-, Lebensmittel- oder Geldspenden auf eine humanitäre Krise zu reagieren. Außerdem können wir jungen Vertriebenen und Flüchtlingen helfen und ohne jegliche Diskrimination all diejenigen in Sicherheit bringen und schützen, die ihren Heimatort verlassen mussten.

Insgesamt müssen wir die Bedürfnisse der Jugend in der Ukraine erfassen und dafür sorgen, dass sie erfüllt werden.

Konkret können wir an Unterschriftenaktionen teilnehmen, uns Märschen anschließen, Mitmenschen zum Einsatz auffordern, Verbände unterstützen, aber auch Journalisten, die vor Ort eine unverzichtbare Aufgabe übernehmen. Wir können auch spenden, andere Organisationen, Gemeinschaften, die Politik und/oder Unternehmen dazu anregen, sich für das ukrainische Volk einzusetzen usw.

Neben der Reaktion auf die Not kann sich die Zivilgesellschaft auch, wie wir, für die Verteidigung der europäischen Werte einsetzen, die von Russland unter Wladimir Putin angegriffen wurden. Deshalb fordern wir, dass der Ukraine der Status als EU-Beitrittskandidat zuerkannt wird, ebenso wie Moldau und Georgien. Diese Länder haben ihr europäisches Engagement gezeigt und zahlen den Preis dafür. Die Europäische Union regt zum Träumen an und gibt vielen jungen Menschen Hoffnung. Wir dürfen sie nicht enttäuschen!

Wie kann die internationale Jugendarbeit dem ukrainischen Volk helfen?

Natalia Shevchuk: Ich denke, indem wir eine bessere Kommunikation und Koordination zwischen den verschiedenen Netzen und internationalen Partnern sicherstellen. Zunächst einmal sollten wir berücksichtigen, dass die Jugendarbeit in der Ukraine auch vor dem Krieg in den Jugendorganisationen nicht anerkannt war. Im Rahmen des Jugendgesetzes ist ein Jugendarbeiter eine Person, die Jugendarbeit ausführt und eine besondere Ausbildung im Einklang mit der vom zentralen Exekutivorgan für die Ausbildung und die Durchführung der Jugendpolitik durchlaufen und ein Standardzertifikat erhalten hat. Das Ministerium für Jugend und Sport leitet ein Programm unter dem Namen „Jugendarbeiter“. Vom Exekutivorgan im Bereich der Jugendpolitik wird kein anderes Jugendprogramm anerkannt. Das bedeutet, dass Jugendorganisationen für die Durchführung ihrer Programme keine Finanzmittel erhalten können. Deshalb sind mehr Partnerschaften zwischen Jugendorganisationen in der Ukraine und im Ausland erforderlich. Zugleich sollten internationale Partner sich darüber im Klaren sein, dass die Situation recht schwierig ist und wir bei der Gestaltung unserer Ideen für künftige gemeinsame Projekte wirklich vorsichtig sein müssen. Wir sollten uns darauf konzentrieren, wie wir Jugendaktivisten sichern können, damit sie sich im Bereich der Jugend-NGOs weiterentwickeln können und nicht den Arbeitsbereich wechseln, und wie der Kapazitätsaufbau in Jugend-NGOs unterstützt werden kann. Jungend-NGOs sollten Zugang zu einer flexibleren Finanzierung haben, sowohl für Verwaltungsangestellte als auch für Büromieten. Das Hauptproblem ist, dass es, wenn Spender sich an die Regierung wenden, um zu erfahren, was sie finanzieren sollten, zu hohen Haushalten, aber wenig wahrer Wirkung führt. Meiner Meinung nach sollte die Ukraine unterstützt werden, um angemessene Reformen durchzuführen und eine Erasmus-Agentur in der Ukraine zu eröffnen. Das wäre ein echter Schritt in Richtung einer europäischen Integration im Jugendbereich.

Welche konkreten Maßnahmen planen Sie?

Clara Föller: Vieles ist angesichts der sich schnell wandelnden Situation im Fluss, entsprechend flexibel gestaltet sich daher jegliche Planung. Während wir gerade auch in den ersten Wochen versucht haben, eine gemeinsame und überparteiliche Reaktion auf den Angriff Russlands zu entwickeln (durch gemeinsame Demonstrationen, Statements, etc.), fokussieren wir uns aktuell auch wieder verstärkt auf den Blick in die Zukunft, gerade auch auf die Frage, wie die Europäische Union Krisen wie dem Krieg in der Ukraine begegnen kann. Für uns ist ganz klar, dass wir jetzt substanzielle institutionelle Reformen brauchen, damit wir zukünftig als Europa handlungsfähig sind, gerade auch was den Erhalt von Frieden und Demokratie angeht. Gleichzeitig unterstützen wir auch weiterhin dabei, die beim Budapest-Meeting etablierte Struktur weiter auf- und auszubauen und die dort geplanten Aktivitäten umzusetzen. So können wir einen Beitrag leisten, eben auch in den nächsten Wochen und Monaten die Stimme junger Menschen für Frieden, Freiheit und Demokratie nachhaltig zu stärken. 

Antoine Chabal: Wir planen, unser unerschütterliches Engagement für die europäische Demokratie und für den Frieden fortzusetzen. Wie wir es bereits seit Jahren tun, werden wir weiterhin im Rahmen unseres Programms L’Europe par les Jeunes junge Menschen für europäische Fragen sensibilisieren und über unsere Online-Zeitschrift Le Taurillon informieren. Heute, wo der Krieg vor unserer Tür steht, sind Friedens- und Demokratieerziehung, aber auch hochwertige Informationen unverzichtbar und stehen im Mittelpunkt unseres Engagements.

Mit unseren lokalen, nationalen und europäischen Partnern bleiben wir außerdem wachsam und halten uns bereit, uns gegebenenfalls stärker zu engagieren.

Schließlich organisieren wir mit unseren Partnern vom 5. bis 8. Mai 2022 den Strasbourg Summit. Dieser Gipfel wird Gelegenheit für eine große Bürgerbewegung zugunsten des europäischen Projekts bieten, wo wir unsere Solidarität mit dem ukrainischen Volk erneut bekräftigen werden.