Nun ja, ganz so klischeehaft muss es wohl nicht sein, aber: Dank der wiederaufgenommenen Direktverbindung zwischen Berlin und Paris/Brüssel hält die „Renaissance der Nachtzüge“ neben Wien nun auch in den deutsch-französisch-belgischen Hauptstädten Einzug, um auch dort wieder umweltfreundliches und komfortables Reisen über Nacht zu ermöglichen.

Wir durften bei der Einweihungsfahrt dieser vielversprechenden neuen Nightjet-Verbindung sein und ordnen unsere Erfahrungen in den deutsch-französischen und ökologisch-sozialen Kontext ein.

Ein deutsch-französisches Comeback

Unter großem medialem Interesse mitsamt offizieller Einweihung am Berliner Hauptbahnhof durch die deutschen und französischen Verkehrsminister hieß es am Abend des 11.12.2023 nach jahrelanger Pause für den Nachtzug Berlin-Paris endlich wieder: „Bitte einsteigen, der Zug fährt ab!“

Eine gewöhnliche Fahrt mit dem Nachtzug erwartete uns auch abseits der feierlichen Umstände dieser Einweihungsfahrt gewiss nicht: Neben zahlreichen Medienvertreter:innen waren auf der Hinfahrt nach Paris nämlich auch der Verkehrsminister Frankreichs, Clément Beaune, der französische Botschafter in Deutschland, François Delattre, sowie der Ministerpräsident Thüringens, Bodo Ramelow, an Bord, welche die Zeit für einen Austausch mit uns als DFJW-Juniorbotschafter:innen  nutzten und dabei insbesondere auf die Bedeutung dieser neuen Nachtzugverbindung für die deutsch-französische Freundschaft eingingen.

Doch auch nach dem offiziellen Teil arbeiteten wir als “JuBos” bei Kartenspielen, Snacks, Aktionen im Zug und lebhaften Diskussionen aktiv an der Entwicklung der deutsch-französischen Freundschaft weiter – wenn auch dadurch die Idee des Nachtzugs, ausgeschlafen am Ziel anzukommen, von uns weder bei der Hinfahrt noch bei der Rückfahrt wirklich nachempfunden werden konnte.

Use trains not planes - warum wir Nachtzüge unbedingt brauchen

Während das historisch gewachsene Konzept der Nachtzüge bis vor Kurzem eher rückläufig war, erlebt(e) die Flugbranche einen regelrechten Boom. 

Das bleibt jedoch nicht ohne Folgen: In den 2010er Jahren sind die durch den europäischen Luftverkehr verursachten CO2-Emissionen um fast 30% gestiegen.

Insgesamt wird davon ausgegangen, dass der internationale Luftverkehr allein für etwa 2,5% der globalen Emissionen verantwortlich ist – und das wiegt besonders schwer, wenn man bedenkt, dass schätzungsweise 80% der Weltbevölkerung noch nie in ihrem Leben überhaupt geflogen sind.

Doch neben der großen Problematik des CO2-Ausstoßes von Superreichen (siehe z.B. hier oder allgemein betrachtet hier), ist das Fliegen in Europa durch stark subventionierte Billigfluglinien erschreckenderweise auch „Mainstream“ auf Kurzstrecken geworden.

Die Strecke Berlin-Paris erfreute sich dabei besonderer Beliebtheit: Greenpeace geht davon aus, dass im Jahr 2019 über 1,3 Millionen Menschen zwischen den beiden Städten geflogen sind.

Jedoch bildeten sich, ausgehend von einem besseren ökologischen Bewusstsein und damit verbundene Phänomene wie „flight shame“ (aus dem Schwedischen „flygskam“ – ein Gefühl der Scham aufgrund des Bewusstseins um den klimaschädlichen Effekt des Fliegens), auch Gegenbewegungen heraus, die ein Comeback des Nachtzugs fordern. 

Mit “Back-on-Track” und “Oui au train de nuit !“ begrüßten uns zwei solcher Kollektive mit genau dieser Forderung jeweils feierlich bei Abfahrt und Ankunft - in Paris sogar mit eigens umgedichteten Weihnachtsliedern wie „Vive le train de nuit“ (= es lebe der Nachtzug, orig: „Vive le Vent“ – Jingle Bells).

Die Vorstände der beteiligten Bahnunternehmen (ÖBB, DB, SNCF, SNCB) waren jedenfalls optimistisch, dass das Angebot gut angenommen werden wird und weitere Verbindungen in den nächsten Jahren folgen können – ein mehr als notwendiger Schritt, um dem Flugzeug eine wettbewerbsfähige Alternative entgegenzustellen!

Da die Mobilität ins Partnerland besonders bei unseren deutsch-französischen Austauschen und -Projekten eine tragende Rolle spielt, könnte mit dem Umstieg auf den Nachtzug auch die CO2-Bilanz des DFJW erheblich verbessert werden, was wunderbar mit unserem eigenen Themenschwerpunkt Nachhaltigkeit einhergeht.

Der Weg ist das Ziel – was den Nachtzug auszeichnet

Zuerst einmal gilt, dass man sich nicht von der langen Fahrtzeit abschrecken lassen sollte, da einige der etwa im 14 Stunden Fahrtzeit im Optimalfall gar nicht „zählen“, wenn man den Nachtzug auch (wie gedacht) zum Schlafen nutzt. Darüber hinaus fallen einige Punkte wie die Sicherheitskontrolle am Flughafen oder der Weg zum Stadtzentrum weg, womit die Fahrtzeit fast mit der effektiven Reisezeit gleichzusetzen ist.

Darüber hinaus stellt eine Reise im Nachtzug bereits ein Erlebnis in sich selbst dar. Andere Reisende kennenlernen, seine Reisepläne erstellen oder einfach auf Aufregendes von Seiten der Bahn hoffen: Auch wir hatten dank der Interaktionen mit den anderen Fahrgästen und einiger eher unfreiwilliger Halte (einmal sogar per Notbremse) den Eindruck, dass eine Fahrt im Nachtzug immer auch etwas Abenteuer bedeutet.

Und das Schöne dabei: Egal, was gerade passiert oder benötigt wird, es stehen einem jederzeit die zuvorkommenden Mitarbeiter:innen des Nightjet zur Verfügung - wir haben uns bei Sedat, welcher für unser Abteil zuständig war, zu jeder Tag- und Nachtzeit wunderbar aufgehoben gefühlt!

Erschwinglich, effizient, einheitlich – eine Vision für den europäischen (Nacht-)Zugverkehr

Leider bringen all die positiven Aspekte des Reisens mit dem Nachtzug letztendlich wenig, wenn sich zu viele Reisende aus Kostengründen immer noch für das Flugzeug entscheiden.

Auch wir staunten nicht schlecht, als wir die viel zu hohen Preise auf unseren (zum Glück erstatteten) Tickets entdeckten. 
Zwar sind laut eigener Recherche (vgl. hier) weit im Voraus gebuchte Tickets im Sitzwagen bereits ab 34,90€ (offiziell: 29,90€) zu finden, wenn man aber auf etwas mehr Komfort (und Schlaf) im 6er-Liegewagen hofft, muss man schon etwas tiefer in die Tasche greifen und mindestens 54,90€ (offiziell: 49,90€) bezahlen; ganz zu schweigen vom nochmals deutlich teureren Schlafwagen. 

Wer jedoch an Tagen mit einem hohen Verkehrsaufkommen und etwas spontaner bucht, wird vermutlich große Schwierigkeiten haben, unter dem Preis eines Direktflugs zu bleiben – und das gilt insbesondere, wenn noch Anschlusszüge dazu gebucht werden müssen.

Eine derartige Aufteilung der Preisgestaltung ist weder sozial verträglich noch umweltpolitisch sinnvoll. 
Im besten Fall sollte sich gar nicht erst die Frage stellen, ob man sich beim Reisen für das Klima oder den Geldbeutel entscheidet – sofern man diese Wahl im praktischen Leben überhaupt hat. 

Es muss vielmehr Anreize dafür geben, sich eben gerade für die grüne Alternative zu entscheiden - und das sogar, wenn dies mit einer gewissen Einbuße im Komfort oder der Zeitgestaltung einhergeht.

 

Außerdem sollte es auch abseits vom Nachtzug einfacher gemacht werden, grenzüberschreitende Zugtickets zu buchen. Durch die nationale Ausrichtung der jeweiligen Eisenbahnunternehmen ist es nicht nur besonders teuer, Tickets über verschiedene Anbieter buchen zu müssen, sondern auch kompliziert und planungstechnisch unsicher, da das Risiko besteht, einen Anschluss durch eine Verspätung aus einem anderen Land zu verpassen und keine Alternative angeboten zu bekommen.

Ein Gedanke ist uns hierbei direkt kommen: Wie wäre es, grenzüberschreitende Zugtickets über eine gemeinsame europäische Buchungsplattform anzubieten, an der alle Eisenbahngesellschaften gleichermaßen mitsamt ihrer Rabattkarten und Regelungen zum Umgang mit Verspätungen teilnehmen?

Derartige Anreize werden nicht allein zur Lösung des Problems führen, aber sie können eine wichtige Grundlage für eine nachhaltigere Zukunft des Reisens legen. Nur, wenn grünes Reisen nicht mit Mehrkosten und erheblichen Einbußen im Komfort einhergeht, scheint es rechtfertigbar, restriktivere Maßnahmen im Hinblick auf das Fliegen durchzusetzen – angefangen natürlich bei Kurzstreckenflügen und insbesondere Reisen im Privatjet!

Fazit

Auch wenn unserer Reise im Nachtzug durch die große Politik- und Medienpräsenz sicherlich nicht unter regulären Bedingungen stattfand, konnten wir gerade dadurch feststellen, dass der Nachtzug längst kein Nischenthema mehr ist, sondern vielmehr eine klimafreundliche Form der Zukunftsmobilität darstellt, die immer beliebter wird und bei der es sich lohnt, mit auf den Zug aufzuspringen!

Um eine gute Alternative zu Flügen zu bieten, müssen aber insbesondere Preis und Verfügbarkeit stimmen, wobei noch viel Aufholbedarf besteht.

Wir hoffen auf jeden Fall, dass diesem hoffnungsvollen Beispiel noch viele weitere Verbindungen folgen werden, um in Europa ein breites und zuverlässiges Netz an Nachtzügen über Landesgrenzen hinweg zu etablieren. Nächster Halt: Klimaschutz!

Vorschau Linus Bergauer

Linus studiert Rechtswissenschaften und ist als DFJW-Juniorbotschafter für die Region Nordrhein-Westfalen zuständig. 
Bei seinen Freiwilligenaktivitäten und Animationen liegen ihm besonders die Themen Nachhaltigkeit und Solidarität am Herzen. 

Linus Bergauer
DFJW-Juniorbotschafter
Vorschau Landy Gourdon

Landry hat einen Abschluss in Angewandten Fremdsprachwissenschaften und war zuletzt als Mitarbeiter bei der Deutschen Sportjugend tätig. Er ist DFJW-Juniorbotschafter  für die Region Pays-de-la-Loire und leidenschaftlicher Teamer bei internationalen Jugendaustauschen.

Landry Gourdon
DFJW-Juniorbotschafter