von Noémie Jobard

Allein wenn ich mal bei mir schaue: Mit meiner freiwilligen Projektarbeit über Geschlechteridentität am Lycée in der Normandie war ich eine Art Pionierin. Nur 5 Jahre später konnte ich Kurse in Gender Studies während meines Erasmus-Aufenthaltes in Deutschland wählen. Mit dem Internet und den sozialen Netzwerken ist die Sichtbarkeit der Probleme der LGBTQIA+-Communitys heute größer. Sie betreffen besonders junge Menschen, die ihre Sexualität entdecken und sich eine eigene Identität während der Pubertät schaffen. Muss auch das DFJW bei seiner Arbeit Fragen zur Geschlechtsidentität und sexuellen Orientierung stellen?️‍ ?️‍?

Jugendarbeit FÜR junge Menschen

53 % der Opfer von Diskriminierungen, Übergriffen und Belästigungen sind jünger als 34 Jahre LGBTI-Phobien. Diese Gewalt ist immer noch ein wichtiges Thema, das in Schulen kaum angesprochen wird. Mir haben meine Deutsch-Lehrer:innen am Lycée vom DFJW erzählt. Ich habe mir die Frage gestellt, wie das DFJW diese Problematik bei seiner Arbeit berücksichtigen könnte, um weiterhin Toleranz und Mobilität für alle zu fördern. Hier sind meine drei Empfehlungen für die nächsten 60 Jahre. ?

Sensibilisieren

Damit junge Menschen mit unterschiedlichen Lebensgeschichten von politischer Bildung und Toleranz sprechen, müssen alle Teamer:innen, Lehrkkräfte und Schüler:innen die Mechanismen von Diskriminierung, Sexismus und Stereotype kennen. Eine gute Vorbereitung von Jugendbegegnungen und die Sensibilisierung des Betreuungsteams tragen dazu bei, dass sich die Teilnehmenden wohl fühlen und so Diskussionen entstehen können. Zu diesem Zweck hat das DFJW 2020 eine Publikation mit einer Liste von Empfehlungen für Jugendleiter:innen veröffentlicht – in der Hoffnung, dass dies in Zukunft gang und gäbe sein wird. ?

Inklusion

Inklusion erfolgt zuallererst über die Sprache. ? Auch wenn Deutschland bei diesen Fragen schon weiter ist, wie die Aufnahme eines dritten Geschlechts in Sprache und Verwaltung zeigen, so ist noch nicht alles erreicht. Wenn Personen mit den richtigen Pronomen und neutraleren oder inklusiveren Verbangleichungen bezeichnet werden, kann man mehr Menschen ansprechen. Das entspricht übrigens dem Wunsch vieler junger Menschen: Gemäß einer Umfrage von Google und Mots Clés aus dem Jahr 2022 ist die Zustimmung für eine inklusive Sprache bei den 18- bis 34-Jährigen fast doppelt so hoch wie beim Rest der Menschen in Frankreich. ?️ Seit 2018 verwendet auch das DFJW inklusive Sprache. Und auch wenn in beiden Ländern noch heftig über deren Gebrauch gestritten wird, so ist das schon ein großer Schritt nach vorn. Ein Punkt, den es zu pflegen und für die nächsten Jahre zu bewahren gilt!

Diskutieren

Menschenrechte gelten für alle Menschen. Sie sind universell und stehen über Kulturen, Religionen und Traditionen. Allerdings ist der Schutz der LGBTQIA+-Community keine Selbstverständlichkeit in allen Ländern. Laut Rainbow Europe hat die Europäische Union bei den LGBTI-Menschenrechten nur eine Quote von 48 % erreicht. Auch wenn Deutschland und Frankreich Nachbarn sind, haben beide Länder unterschiedliche Fortschritte in Bezug auf die Rechte von LGBTQIA+ Personen gemacht: Ehe für alle, medizinisch unterstützte Fortpflanzung für Frauenpaare usw.

Junge Menschen haben ein großes Interesse daran, deutsch-französische und europäische Begegnungen zu organisieren! Warum diskutieren wir nicht über die Rechte von LGBTQIA+-Personen? Warum entwickeln wir keine Gemeinschaft, die sich über Landesgrenzen hinweg dafür stark macht? Oder warum sprechen wir nicht einfach nur über Toleranz, Vielfalt und queere Identität in einem multikulturellen Kontext? ? So könnte man bekannte Aktivist:innen zu solchen Projekten einladen. Da wären zum Beispiel Bilal Hassani, Hoshi, Angèle, Ricardo Simonneti, Avi Jakobs oder Persönlichkeiten aus der Politik wie Seyran Ateş. Ihre sichtbare Unterstützung in der Debatte könnte sich positiv auf die Beteiligung auswirken. Neue Projekte wie Queer It Up oder „Talking Europe“ sprechen junge Menschen an und lassen sie zu Wort kommen. Sie zeigen, dass mit der Unterstützung des DFJW und anderer europäischer Organisationen ein sicherer europäischer Raum für den Austausch über dieses Thema initiiert werden kann. ?

Und bei uns?

Sich informieren

Dies ist der beste Weg, um Vorurteile abzubauen und Diskussionen in Gang zu bringen. ?

  • Im Internet: Ich empfehle eine Seite auf Französisch und einen Chat, der sich an junge Menschen richtet und Liebe, sexuelle Orientierung und Geschlechtsidentität thematisiert. In Deutschland gibt es ein Portal mit Informationen in fünf Sprachen für junge Menschen und Lehrkräfte.
  • In den sozialen Netzwerken: Ihr könnt Content-Ersteller:innen folgen, die den Alltag als Paar ohne viel Schnickschnack schildern. Beispiele sind Dalila.Chelcie, @k.hwijiai oder @coupleontour.
  • In den „klassischen“ Medien: Ich empfehle Paint-Accounts (@paint.officiel), Queerspiegel (@queerspiegel) und den deutschen Podcast Queer Story, die sich mit LGBT-Themen beschäftigen. Aber auch das Frauenmagazin Jeanne Magazine und Zeitschriften wie Têtu oder sein Berliner Pendant Siegessäule sind lesenswert.

Sich engagieren

Wer einen Unterschied machen will, kann ganz einfach aktiv werden. Es reicht manchmal schon aus, an der Uni geschlechtersensible Sprache zu verwenden und Personen mit Pronomen zu bezeichnen, sich an Pride Marches zu beteiligen, ehrenamtlich für lokale Organisationen zu arbeiten oder an SOS Homophobie oder The Refuge zu spenden. ?

Seine Komfortzone verlassen

Wer sich in seinem Dorf auf dem Land isoliert fühlt, braucht manchmal die Aufgeschlossenheit einer Großstadt, um seine Persönlichkeit, seine Identität und seine Sexualität zu leben. Ein Aufenthalt in Berlin mit dem Brigitte Sauzay- oder Voltaire-Austauschprogramm ist manchmal der Auslöser, um sich selbst kennen zu lernen und andere Möglichkeiten zu entdecken. ✈️ Ob im Schwuz, beim Kiezbingo im SO36 oder bei den Karaoke-Abenden im Monster Ronson – es gibt nichts Besseres, als gemeinsam Spaß zu haben und feiern zu können!

Vorschau Noémie Jobard

Noémie Jobard ist 28 Jahre alt. Sie kam 2015 für einen Erasmus-Aufenthalt nach Berlin und lebt seitdem in der deutschen Hauptstadt. Sie hat einen Abschluss in Germanistik und schrieb ihre Masterarbeit über die Berliner Technoszene. Heute arbeitet Noémie in den Bereichen Übersetzung und Marketing.

Noémie Jobard
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