Anlässlich des 60. Geburtstags des Elysée-Vertrags gibt das DFJW jungen Menschen das Wort zu Themen, die ihnen am Herzen liegen. Entdecken Sie ihre Erfahrungen, ihre Ideen und ihre Gedanken.

Schwindel

2018 haben mich all die Ereignisse schlichtweg umgehauen und ich bin mir darüber bewusst geworden, was der Klimawandel für uns bedeutet: Als Greta Thunberg die Klimastreiks startete, als 30.000 Studierende in Frankreich das „Manifest für ein ökologisches Erwachen“ (manifeste pour un réveil écologique) unterzeichneten und Europa von einem besonders heißen Sommer heimgesucht wurde. Artensterben, Ressourcenverknappung, die „Krise der Sensibilität“, von der Baptiste Morizot spricht: Beim Lesen und bei Internetvorträgen wurde mir der Bedeutung von Umwelt und Klima immer klarer. Ich fühlte mich ohnmächtig und abgrundtief traurig, während ich gleichzeitig mein Studienabschlusspraktikum im Ausland absolvierte.

Warum habe ich während meines Studiums, das so soziologisch aufgebaut und auf kulturelle Offenheit ausgerichtet war, nicht mehr über Themen gelernt, die die Existenz des Lebens auf der Erde ausmachen und bedingen?

Im Frühjahr 2019 schloss ich mich dem Verein La Bascule an und wurde damit Teil der jungen Menschen, die man seit mehreren Monaten auf den Straßen skandieren hörte: „1 et 2 et 3 degrés, c’est un crime contre l’humanité“ („1 und 2 und 3 Grad sind ein Verbrechen gegen die Menschheit“). Dort traf ich Gleichgesinnte, die meine Sorgen teilten und sich des Themas entschieden annahmen und gemeinsam handeln wollten. Die Welt, die wir uns wünschten, gab es bereits ansatzweise überall.

Engagement

Um diese Wege des Engagements sichtbarer zu machen, habe ich zusammen mit einem Freund Maxime Ollivier Erfahrungsberichte gesammelt. Nach fast drei Jahren Arbeit ist dann im April 2022 „Basculons! dans un monde vi(v)able“ (Aufbruch in eine lebendige und lebenswerte Welt) im Verlag Actes Sud erschienen. Das Buch handelt von den persönlichen Kipppunkten 30 junger Menschen, die beschlossen haben, sich für die Einhaltung der planetaren Grenzen einzusetzen und damit die Grundbedürfnisse möglichst vieler Menschen sicherzustellen. Einige versuchen, Unternehmensstrategien in neue Bahnen zu lenken. Andere, die nicht mehr an eine Entspannung glauben, treten Knall auf Fall zurück und erfinden andere Modelle und Verfahren. Die nachhaltige Transformation von Bauernhöfen hin zu Agrarökologie, Leichtbauwohnungen, kohlenstoffarme Mobilität, Energiewende: Mit diesen Themen befasst sich unsere Generation durch institutionelles Wirken, parteipolitisches Engagement, bei Bürgerinitiativen, mit zivilem Ungehorsam usw. Wir haben rund 20 erfahrenen Akteur:innen des ökologischen Wandels das Wort erteilt, um die Realität zu veranschaulichen und die Notwendigkeit eines generationsübergreifenden Bündnisses zu unterstreichen. Ohne sie wären wir heute nicht hier. Abgeordnete, Forschende, Aktivist:innen, Unternehmer:innen: Sie alle haben den Weg geebnet, den wir nun weitergehen müssen. Mit diesem Buch wollten wir zeigen, dass Umweltschutz kein Wirtschaftszweig, sondern praktische Philosophie ist, die jeden Bereich der Gesellschaft durchdringt. In diesem Sinne müssen bestimmte Berufe neu erfunden werden, einige müssen verschwinden und andere neu geschaffen werden. Wir empfehlen allen Menschen, den eigenen Weg zu finden und das zu machen, was er oder sie gerne tut.

Hindernisse überwinden

Auf unserer Tournee im Jahr 2022 haben wir bei fast 100 Begegnungen mit vielen motivierten Menschen über die Idee gesprochen, eine lebens- und beneidenswerte Welt zu schaffen.

Drei Hindernisse sind der Grund dafür, weshalb die meisten Menschen sich davor scheuen, wichtige Schritte zu tun.

Das erste Hindernis ist ein gesellschaftliches: Wer sein Studium oder seine Karriere in Frage stellt und sich neu orientiert, kann von seinem Umfeld anders wahrgenommen werden; der Freundeskreis kann sich verkleinern oder verändern. Kurzum: Die Sicherheit, die uns Beziehungen geben und die uns guttut, wird uns genommen. In der Minderheit zu sein, gefällt nicht jedem, und wir brauchen die Anerkennung von unseren Mitmenschen!

Der zweite Hemmschuh ist finanzieller Art: Auch wenn sich ein Großteil der Bevölkerung Veränderungen wünscht – wie Entschleunigung und mehr Sinnhaftigkeit – stehen doch finanzielle Faktoren im Weg. Wie der Soziologe Bruno Latour schrieb, hat die Wirtschaft die finanzielle Rentabilität von Unternehmen als Hauptindikator festgelegt – und nicht, inwiefern die Erde bewohnbar bleibt oder ob sich Lebewesen regenerieren können. Daher stammt unser Geld eher aus Strukturen, die an diesem zerstörerischen System beteiligt sind, als von Vereinen oder innovativen Unternehmen, die in gemeinschaftlichen Degrowth- oder Postwachstums-Projekten neue Wege gehen.

Das dritte Hindernis umfasst die beiden ersten und ist politischer Natur: Die liberale Vorstellung von Ökologie suggeriert, dass der ökologische Umbau in erster Linie von den Menschen selbst gestaltet wird. Eine eher strukturelle Sichtweise besagt hingegen, dass der Wandel vor allem von Institutionen und Großunternehmen in den Industrieländern ausgehen wird, die mehrheitlich für Umweltschäden verantwortlich sind. Umweltkatastrophen machen uns vielleicht weniger Angst als die vorsätzliche Zerstörung von Lebewesen oder der Mangel an ökologischem Ehrgeiz der Regierungen. Ihr Hauptziel sollte es sein, den Appetit der international agierenden Großkonzerne zu zügeln. Zusätzlich zu unserer Öko-Angst ist es wahrscheinlich auch eine Politik-Angst, die wir empfinden. Deshalb ist politisches Engagement, sowohl auf nationaler als auch auf deutsch-französischer und internationaler Ebene, mehr als notwendig.

Kunst, Umweltschutz und Besinnung

Junge Menschen, die sich für das Klima einsetzen, stehen mit anderen jungen Menschen in Kontakt, die für die Vielfalt unserer Gesellschaft, ihre Gegensätze und Widersprüche stehen. Zusammen mit den älteren Generationen, die den Wandel mittragen, muss die Jugend einen „Kulturkampf“ austragen, um ihre Ideen zu verbreiten. Politischer Diskurs, Einfluss und Verkörperung sind zwar die richtigen Hebel, aber künstlerisches Schaffen ist ebenfalls notwendig, um nüchterne, freundliche und realistische Vorstellungen entstehen zu lassen. Tanz, Malerei, Poesie, Film, Sport, elektronische oder klassische Musik sind und werden Vektoren einer Welt sein, die das Leben respektiert. Eine Welt, in der auf Komplexität geachtet wird und in der man sich darauf konzentriert, das Wesentliche für die größte Zahl von Menschen zu gewährleisten.

Die Donut-Theorie der Wirtschaftswissenschaftlerin Kate Raworth ist ein guter Leitfaden, mit dem unterschiedliche Sensibilitäten vereint werden können, ohne dass wir unsere Ansprüche herunterschrauben müssen.

Ganz praktisch: Eine mögliche Antwort und gleichzeitig eine immense Quelle für Inspiration und Freude ist es, im Alltag zu beobachten, wie sich das Leben bewegt (Moore, Seen, hohes Gras, Vögel, Ökosysteme im Wasser und am Land). Wir sollten unsere Aufmerksamkeit mehr auf die Welt und weniger auf Bildschirme lenken. Und wir sollten Dinge mehr wahrnehmen anstatt immer nur zu scrollen.

Auf Instagram: @fete ensemble @le bruit qui court @ecologie culturelle @shift project @vert le média

Tanguy DescampsTanguy Descamps macht sich für einen lebenswerten Planeten stark. Er hat in der 9. Klasse am Brigitte-Sauzay-Programm (Rostock) und in der 10. Klasse am Voltaire-Programm (Bremen) teilgenommen. Seit seinem Studienabschluss an der Hochschule Sciences Po Bordeaux und der Universität Stuttgart (2013 – 2018) engagiert er sich im Verein La Bascule und in einer lokalen Einrichtung zum Thema Ernährungsbildung. Im April 2022 erschien bei Actes Sud eine von Tanguy Descamps koordinierte Sammlung von Erfahrungberichten mit dem Titel „Basculons! dans un monde vi(v)able“.