Als bildende Künstlerin und Regisseurin verorte ich mich genau in diesem kulturellen, sprachlichen und geografischen „Dazwischen“, wo Unterschiede zu Ankerpunkten werden, um kreativ zu sein, zu hinterfragen und zu verbinden.
Schon in jungen Jahren wurde ich in meinem intimsten Raum mit dieser Frage konfrontiert: Meine Eltern haben mir ihre Muttersprache, das Kabylische, nicht vermittelt. Ich fand mich am Rande der meisten Familientreffen wieder, bei denen diese Sprache gesprochen wurde. Die Abende bei meiner Urgroßmutter, die Gedichte sang, haben mich tief geprägt. Ich verstand die Sprache nicht, aber ich spürte die Emotionen durch die Klänge der Worte und die Intonation der Stimmen.
Mit 17 Jahren zog ich nach Paris. Ich war bereit, „die Hauptstadt von Kunst, Kultur und Wandel“ zu entdecken. Doch sehr schnell wurde ich erneut mit Situationen konfrontiert, in denen ich aufgrund meines Andersseins als Algerierin und der tief verwurzelten Stereotypen im Zusammenhang mit der kolonialen Geschichte zwischen Algerien und Frankreich am gesellschaftlichen Rand wiederfand.
Erst durch Erfahrungen im Ausland, in New York und Chiang Mai, weit weg von dieser belasteten kolonialen Vergangenheit mit Algerien, begann ich das kreative Potenzial der Unterschiede zu erkennen, um anders über sich selbst nachzudenken.

Das Dazwischen als Raum für kreatives Schaffen
Meine Projekte finden im öffentlichen Raum in Algerien statt. Sie verstehen sich nicht als physischer Ort wie Straßen, Baustellen, Gebäude, Ruinen, sondern auch als sozialer, symbolischer und politischer Raum. Dieser Raum ist durch Mehrsprachigkeit, die Vielfalt kultureller Zugehörigkeiten, informelle Praktiken und durch Machtverhältnisse geprägt, die aus der kolonialen Geschichte stammen. Es sind genau diese Reibungen, Zusammenstöße und Aneignungen, die mich interessieren.
Über die Arbeit an Interkulturalität hinaus beschäftige ich mich mit der Durchdringung gesellschaftlicher Codes: Sie spielt sich innerhalb dieses heterogenen öffentlichen Raums ab – durch Stimmen, Gesten, Körper, die diesen Raum durchqueren, bewohnen oder sich ihm widersetzen.
In „Experiencing Obstacles in the Public Space“ (2021) hinterfrage ich die Möglichkeit, im öffentlichen Raum durch eine ortsspezifische Installation in einem Viertel von Algier zu interagieren. Täglich wird ein neues Hindernis auf den Weg der Passanten gestellt, was eine neue Choreografie der Körper erzeugt. Diese Objekte, die eine Realität der Einschränkungen im urbanen Raum verstärken, regen die Bewohner zum Nachdenken an und lösen Diskussionen aus. Die Passanten teilen uns dann ihre Eindrücke über den Mangel an urbaner Gestaltung mit. Wir nutzen diese Gelegenheit und laden sie zu einem Workshop ein, wo sie sich selbst beteiligen und etwas Eigenes schaffen können. Dies ist eine symbolische und physische Art, die Stadt neu zu besetzen und die sozioprägenden Normen zu verändern, die den Zugang, die Sichtbarkeit oder die Legitimität von Präsenz im öffentlichen Raum bestimmen.
Der Film Naïma (2025), bei dem ich zusammen mit Yanis Kheloufi Regie geführt habe, zeigt den Alltag einer obdachlosen Frau mit Behinderung. Sie versucht, in einem Viertel zu überleben, das von männlich dominierten und virilen Strukturen geprägt ist. Naïma verkörpert verschiedene Ausgrenzungen: nach Geschlecht, Klasse und körperlicher Verfassung. Den Film haben wir gemeinsam mit ihr entwickelt; es ist ein narrativer Raum, in dem sich ihre Stimme sich entfaltet und die vorherrschenden Narrative Erzählungen hinterfragt werden.
Mit dem Film The Ark (2022) möchte ich einen verlassenen Bauplatz in den Mittelpunkt stellen, der von jungen Menschen genutzt wird, um eine frei zugängliche Turnhalle zu errichten. Dieser Zwischenraum ist von urbanen Kulturen, unterschiedlichen Sprachen und sozialen Status geprägt. Der Film verbindet Dokumentarfilm und Fiktion, um diese Durchdringung sichtbar zu machen und neue Formen von Präsenz, Solidarität und Erzählung zu zeigen.
In La grosse moula ou li michan (2021) arbeite ich direkt mit der vielfältigen algerischen Sprachlandschaft. Dabei zeige ich, wie Sprachen unsere Beziehung zum öffentlichen Raum formen, indem sie die Bruchstellen der Geschichte betonen oder umgehen.

Erzählungen und Darstellungen neu denken
Durch all diese Projekte versuche ich, Räume der Übersetzung zu schaffen – im wahrsten Sinne des Wortes: Ich möchte Verbindungen zwischen Welten herstellen. Das ist eine aktive Haltung, ein Raum für Kreation und Kritik, in dem soziale Beziehungen neugestaltet und andere Wege des Zusammenlebens gedacht werden können. Ich stelle mir die Frage: Wem wird das Recht eingeräumt, zu sprechen, zu existieren und zu bauen?
Im Laufe der Zeit wurde ich immer frustrierter darüber, wie westliche Perspektiven Länder wie Algerien für kommerzielle Zwecke darstellen. In meinen Projekten möchte ich diesen Narrative neu ausrichten und andere dazu inspirieren, dasselbe zu tun. Deshalb bin ich auch dem Kollektiv „Rawiyat Sisters in Film“ beigetreten, das Filmemacherinnen aus Nordafrika, dem Nahen Osten und der Diaspora zusammenbringt. Ziel ist es, die Machtverhältnisse in der Filmindustrie auszugleichen. Wir bieten Schulungen an, produzieren Podcasts und teilen Ressourcen, um die Stimmen von Frauen in der Filmbranche zu stärken.
Programme wie jene des DFJW – insbesondere „Cultures d’Avenir“, bei dem ich als Stipendiatin teilnehmen dürfte – unterstützen diese Dynamiken, indem sie Nachwuchs-Künstlerinnen Räume für Ausdruck, Begegnung und gemeinsames Schaffen bieten. Interkulturalität wird so zu einer Kraft des Wandels, einer fruchtbaren Spannung zwischen dominanten Erzählungen und marginalisierten Stimmen und damit zu einem zutiefst politischen Raum.


Sie hat an der Hochschule ENSCI-Les Ateliers studiert und nutzt ihre analytische und strategische Sichtweise als Designerin in ihrer künstlerischen Arbeit. Ihre audiovisuellen und performativen Projekte zielen darauf ab, das Imaginäre der Stadt neu zu gestalten, indem sie die Formen von Kontrolle und Widerstand marginalisierter Teile der Gesellschaft erforscht. Für ihren Film The Ark wurde sie von Insassen des Gefängnisses Baumettes mit dem Renaud-Victor-Preis beim FIDMarseille ausgezeichnet. 2024 wurde sie für die Teilnahme am Kreativ- und Kunst-Forschungsprogramm „Cultures d’Avenir“ ausgewählt. Das Programm wird vom Centre Pompidou, dem CCCB in Barcelona und dem HKW in Berlin organisiert.

Blog "Die Jugend hat das Wort"
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