von Sofiia Holubeva
Zur englischen Originalversion des Texts.
Am 24. Februar 2022 hat sich mein Leben grundlegend verändert. Nachdem russland 2014 den Krieg im Osten der Ukraine begonnen hatte, überfiel russland an diesem Tag das gesamte Staatsgebiet meines Landes. Selbstverständlich kann ich dieses Thema in meiner künstlerischen Praxis nicht ausblenden. Meine Aufgabe ist es, dafür zu sorgen, dass weder ich noch die Menschen um mich sich an die schrecklichen Verbrechen gewöhnen, die russland schon so lange begeht. Ich versuche, das durch meine Kunstwerke, durch Diskussionen, durch Künstlergespräche über meine Praxis und durch Debatten zu vermitteln. Ich merke aber, dass diese Informationen mit Kunst am effizientesten zum Ausdruck kommen. Ich schaffe meine Projekte, indem ich meine subjektive Erfahrung und unsere gemeinsame ukrainische kollektive Erfahrung analysiere, die ich dann in Metaphern oder in Kunst verwandle.
Hier geht es aber keineswegs um mein eigenes Bedauern. Ganz im Gegenteil geht es darum, zu entscheiden, was es bedeutet, stark zu sein – und darum, die volle Verantwortung für das eigene Leben zu übernehmen.
Einen Monat vor dem russischen Überfall habe ich mein Malereistudium an der Nationalen Kunstakademie in Kyiv abgeschlossen. Als junge Künstlerin war ich aber noch nicht sehr selbstbewusst und fühlte mich etwas verloren.
Im März 2022 bin ich eine Woche nach Beginn des russischen Überfalls auf die Ukraine mit meiner Mutter und meinen zwei Schwestern nach Frankreich gereist. Dabei sind wir durch viele verschiedene Länder gereist – und da der Flugverkehr in der Ukraine zurzeit stillgelegt ist, kann die Reise manchmal zwei Tage dauern. Später bin ich nach Berlin gezogen, nachdem ich mich in einer Ausschreibung der „UCC“ (Ukrainian Cultural Community) um einen Platz in einer Künstlerresidenz beworben habe und ausgewählt wurde. Diese Künstlerresidenz wurde von der ukrainischen Künstlerin Anastasiia Pasichnyk organisiert.
Von da an habe ich angefangen, reifer zu werden. In schwierigen, stürmischen Zeiten hat man zwei Möglichkeiten: entweder wird man ein schwacher Mensch, oder man wird stärker und lernt, Herausforderungen als Möglichkeiten zu betrachten, um zu lernen und etwas davon mitzunehmen. Jetzt, wo ich zurückblicke, bin ich sehr froh darüber, die Kraft gefunden zu haben, mich für die zweite Möglichkeit zu entscheiden. Im vergangenen Jahr konnte ich an mehr als 20 Ausstellungen (darunter vier Solo-Ausstellungen) sowie an zwei Kunstresidenzen teilnehmen, mehrere Ausstellungen kuratieren, als Gaststudentin an der UDK (Universität der Künste Berlin) studieren und sieben Mal in verschiedene Städte der Ukraine reisen, in denen ich zuvor noch nie gewesen war. Aus der Ferne möchte ich jetzt vor allem mein Land besser kennen lernen. Ich möchte alle Städte und Dörfer besuchen, alle Gipfel der ukrainischen Berge besteigen und durch alle Wälder wandern.
Performance « almost home »

Vor der Performance habe ich über meine Erfahrungen gesprochen und den Menschen in Frankreich (wo ich die ersten drei Monate gelebt habe) und Deutschland (wo ich jetzt lebe) sowie Menschen aus anderen Ländern gedankt, die den Ukrainer:innen geholfen haben und immer noch helfen.

Als ich mich mit diesem Netz bedeckt habe, habe ich gesagt, dass all diese Länder, die mir geholfen haben, fast wie eine Heimat sind. Natürlich sind sie nicht meine Heimat, aber ich bin all denen, die mich unterstützen, aufrichtig dankbar. Die Minute, in der ich unter dem Netz gesessen habe, war auch eine Schweigeminute zum Gedenken an diejenigen, die gegen die Unmenschlichkeit gekämpft haben und immer noch kämpfen. Das sind Helden – Menschen, die die Freiheit und die Bedeutung so wichtiger Worte wie Demokratie, das Recht auf Leben und andere grundlegende Menschenrechte verteidigen.
Als Nächstes möchte ich mit Ihnen einen Teil meiner Rede teilen, die ich vor der Performance auf der Bühne gehalten habe: „Ich fühle mich unterstützt... Vielen Dank für eure Solidarität. Nur so können wir der gewaltsamen Unterdrückung in der Welt gemeinsam Widerstand leisten – wenn alle spüren, dass sie gemeinsam Menschenrechte verteidigen. Dieser Krieg ist nicht nur ein Krieg zwischen russland und der Ukraine, es ist auch ein Krieg zwischen gewaltsamer Unterdrückung und Demokratie. Je länger dieser Krieg dauert, desto mehr werden Tyrannen sich dazu berechtigt fühlen, weiterhin Gewalt auszuüben.“
Meine Erfahrung als Teilnehmerin des Camps

Mir wurde auch angeboten, an dem Camp teilzunehmen, um meine Erfahrungen auch aus dieser Perspektive zu bewerten. Dieses Jahr gab es mehrere Themen, nach denen die Gruppen eingeteilt wurden. Ich habe mich für das Thema „Krieg in Europa“ und die Bedeutung der Werte Demokratie und Frieden entschieden. Das Programm war besonders vielseitig: Wir hatten Begegnungen mit Wissenschaftler:innen, mit dem Gesandten-Botschaftsrat der ukrainischen Botschaft, Maksym Jemelianow, und am einem Abend sogar mit dem deutschen Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier im Schloss Bellevue.
Mir sind auch viele verschiedene Ansätze aufgefallen, wie man Menschen, die sich fremd sind, einander vorstellen und zusammenbringen kann. Die Organisator:innen haben zum Beispiel vorgeschlagen, gleich zu Beginn Umschläge mit den Namen aller Teilnehmer:innen aufzuhängen, in die alle anderen ihre Wünsche hineinstecken konnten. Danke für eure netten Worte, meine Lieben. Wir sollten einander in Worten öfter mit Wärme begegnen – das ist es, was uns am Leben hält.

Es war interessant, mit jungen Menschen zu diskutieren und zu versuchen, unsere Gedanken zu einem der schwierigsten Themen der Welt zu vermitteln – nämlich zum Thema Krieg. Mit den meisten Leuten haben wir völlig unterschiedliche Perspektiven, denn sie haben ihr ganzes Leben mit der Vorstellung gelebt, dass Krieg etwas Unmögliches ist, während ich den Krieg selbst erlebt habe. In meiner Gruppe waren auch drei Mädchen aus der Ukraine. Dieses Jahr haben die Organisator:innen des Camps beschlossen, auch junge Menschen aus der Ukraine zur Teilnahme einzuladen, und dafür bin ich dankbar.
Die meisten von uns verbrachten auch nach dem Hauptprogramm noch Zeit miteinander und diskutierten am Abend gemeinsam weiter. Wir haben viel mit den Teilnehmer:innen darüber gesprochen, wie die Ukraine heute die europäischen und globalen Werte verteidigt. Am Ende des Camps habe ich sogar eine Metapher für mich selbst formuliert: „Wenn man nur sagt, dass Diebstahl etwas Schlechtes ist, aber man selbst nichts dagegen unternimmt, wird man irgendwann selbst bestohlen. Regeln bringen nichts, wenn man zulässt, dass gegen sie verstoßen wird und diejenigen, die sie nicht einhalten, nicht aufhält.“
Kunst ist eine Sprache
Ich werde wahrscheinlich mit der Erkenntnis enden, dass Kunst eine Sprache ist – eine universelle Sprache, die keine Worte braucht, und eine Sprache, die äußerst wichtige und komplexe Bedeutungen vermittelt.
Ich bin dankbar, dass ich die Gelegenheit hatte, mit den Teilnehmer:innen, Organisator:innen und Gästen des OFAJ in dieser Sprache zu kommunizieren. Ich danke Ihnen für Ihre Offenheit gegenüber dieser komplexen Sprache.
Sofiia Holubeva ist eine ukrainische interdisziplinäre Künstlerin. Sie lebt derzeit zwischen Berlin und Lviv. Sie schafft Zeichnungen, Gemälde, Performances, Installationen und Videos. Sofiia erforscht die Geschichte der Malerei und die Rolle, die das Medium Malerei heute spielen kann. Seit 2022 ist Sofiia Teil des Teams der Ukrainian Cultural Community und arbeitet als unabhängige Kuratorin. Sie nimmt an Ausstellungen in der Ukraine, in Polen, Rumänien, Deutschland, Spanien, Frankreich und in anderen Ländern teil.