Nach mehreren pädagogischen Fortbildungen, die im Sommer vom DFJW organisiert wurden, verließ ich meine Schule, meine Klasse und meine Schüler in Frankreich und stand nur wenige Wochen später für meine erste Unterrichtsstunde vor einer Klasse im Norden Deutschlands. Auf den ersten Blick waren die Klassen ziemlich ähnlich, ich fühlte mich also nicht völlig verloren. Passend zum Schuljahresbeginn hatte ich beschlossen, mit dem Thema „Schulmaterial“ in den Französischunterricht einzusteigen. Ich stellte meinen neuen Schülern also die typischen Schultaschen und Utensilien französischer Grundschüler vor. Bei der Schiefertafel angekommen, staunte einer meiner Schüler: „Die Franzosen haben aber seltsame iPads!“. So ähnlich also doch nicht ... Dieser Satz brachte mich zum Nachdenken. Für mich stand er symbolisch für die Aufgabe, meinen Schülern zu zeigen, dass bei allen Unterschieden in Gewohnheiten, Lebensweisen und Alltag, uns diese Unterschiede stets bereichern und ergänzen.

Einige Monate später kam am Ende einer Unterrichtsstunde, in der wir über den Dreikönigskuchen in Frankreich gesprochen hatten, eine Erstklässlerin zu mir und sagte: „Die Franzosen haben aber seltsame Traditionen.“ „Findest du das schlimm?“ Sie dachte lange nach und antwortete schließlich: „Nein, ich glaube nicht. Ich glaube sogar, dass es mir gefällt.“ Ich hatte mein Ziel erreicht.

Was mich in der Schule am meisten überrascht hat

In den zwei Jahren, die ich in Deutschland verbrachte, konnte ich einen Teil des deutschen Bildungssystems kennenlernen und verstehen, wie es funktioniert. Besonders beeindruckt war ich von der Selbstständigkeit der deutschen Schülerinnen und Schüler: Das Vertrauensverhältnis zwischen ihnen, den Lehrkräften und Eltern ist sehr stark. Die Schüler übernehmen schnell Verantwortung und es wird ihnen auch Verantwortung übertragen. So haben Schulhöfe in Deutschland zum Beispiel einen direkten Zugang zur Straße, ohne Eingangsportal. Das Vertrauensverhältnis ist sehr stark und so haben die Schülerinnen und Schüler viel mehr Freiheiten. Diese Selbstständigkeit möchte ich bei meiner Rückkehr nach Frankreich unbedingt fördern!

Ich war an einer Schule in Bremen eingesetzt, die einen deutsch-französischen Zweig mit bilingualen Klassen anbietet. Ich war fasziniert von den Lernprozessen der Kinder, vor allem in Mathematik. Einige französischsprachige Kinder hatten in der Schule Deutsch gelernt und dort auf Deutsch das Zählen und Rechnen. Sie dachten auf Französisch, rechneten aber auf Deutsch. Das führte zu lustigen Mischungen, wenn ich ihnen mit meinem eher begrenzten Wissen über Zahlen auf Deutsch erklärte, wie man eine schriftliche Multiplikation durchführt – eine Methode, die sich übrigens von der in Frankreich unterscheidet. Der Aufbau dieser Zweisprachigkeit bei Kindern hat mich so beeindruckt, dass ich im zweiten Jahr in Deutschland eine Weiterbildung zu diesem Thema begann, die ich auch in Frankreich fortsetzen möchte. 

Und auf persönlicher Ebene?

Für mich persönlich hatte ich mir das Ziel gesetzt, mit verbesserten Deutschkenntnissen nach Frankreich zurückzukehren. Angesichts meines anfänglichen Sprachniveaus von A0+ standen die Chancen dafür gut. Ich belegte in den zwei Jahren keinen Deutschkurs, begann aber mit Sprachtandems. Diese Art, eine Fremdsprache zu lernen, hatte das DFJW uns in einer Fortbildung vorgestellt, und sie war perfekt für mich. Sich mit Muttersprachlern austauschen, die Kultur des anderen verstehen, die eigene teilen und gleichzeitig das Sprachniveau verbessern – das alles verleiht dieser Methode besonderen Sinn und sorgte dafür, dass ich Freude am Lernen hatte. Die Tandems richten sich nach den persönlichen Bedürfnissen beim Sprachenlernen, können alle möglichen Thema behandeln (von der Zubereitung von Spätzlen bis zu den Bundestagswahlen) und sind flexibel in Sachen Zeit, Häufigkeit usw. Mir hat das sehr viel gebracht.

Die besondere Gestaltung meiner Stelle in den zwei Jahren gab mir die Möglichkeit, nebenbei durch ganz Deutschland zu reisen. Neben Landschaften und Sehenswürdigkeiten haben vor allem wundervolle Begegnungen meine Reisen geprägt – auch das ist eine Möglichkeit, in ein Land einzutauchen. Außerdem habe ich in Deutschland eine gelassenere Lebensweise kennengelernt, die weniger auf Arbeit und Leistung fixiert ist als in Frankreich.

Warum Deutschland?

Ich wollte eine Auslandserfahrung machen und „woanders fremd“ sein. Berufliche Mobilität ist nicht leicht, wenn man arbeitet – oft fehlt die Zeit, sich zu informieren, eine Schule zu finden, sich um das Administrative zu kümmern … Mit dem Elysée-Prim-Programm profitieren Lehrkräfte von der Unterstützung des DFJW, Fortbildungen und vor allem vom Netzwerk ehemaliger und aktueller Teilnehmenden. Es gibt regelmäßige Treffen, bei denen man ehemalige sowie neue Teilnehmende kennenlernt. So ist man Ratsuchender und Ratgeber zugleich. Es ist ein sehr bereicherndes Programm auf menschlicher Ebene, und alles, was man später in der Schule und im Leben erlebt, gibt einem noch mehr zurück.

Und jetzt?

Dieses Jahr habe ich wieder eine Klasse in meiner französischen Heimat. Das Erlebte hat mir neue Horizonte eröffnet und in mir Wunsch geweckt, bestimmte Projekte zu verwirklichen – vor allem möchte ich meinen Schülerinnen und Schülern Deutschland und die deutsche Sprache näherbringen!

Es gibt nicht „das typische Profil“ eines Teilnehmenden am Programm Élysée-Prim. Manche gehen allein, andere mit Familie oder ohne Partner, manche zwei Jahre nach Beginn ihrer Berufstätigkeit, andere ein Jahr vor der Pensionierung, wieder andere kehren für ein paar Jahre zum Unterrichten nach Frankreich zurück, bevor sie wieder aufbrechen. Das Heimweh, das man zu Beginn verspürt, wird am Ende durch Fernweh ersetzt. Diese Mobilitätserfahrung ist eigentlich nie vorbei! Die zwei Jahre in Deutschland haben mir noch mehr Lust darauf gemacht, andere Länder und Bildungssysteme zu entdecken, dort meine Methoden zu bereichern und mich weiterhin für andere Kulturen und Länder zu öffnen. Mein Wunsch ist, unbedingt noch einmal eine so bereichernde Erfahrung zu machen.

Lehrerin an einer kleinen Schule in Frankreich ist Fleur schon immer gerne gereist, hat neue Länder entdeckt und Menschen kennengelernt. Mit dem Programm Élysée Prim erweiterte sie ihren Horizont und brachte ihren Schüler:innen in Frankreich neue Ideen mit.

Fleur Husset
Lehrerin

Blog "Die Jugend hat das Wort"

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