In acht künstlerischen und thematischen Workshops beschäftigten wir uns mit aktuellen Herausforderungen wie Ungleichheit, Desinformation, Gedenken oder Frieden und Demokratie.

Auf dem Programm standen Treffen, Gedenkstättenbesuche, Workshops, politische Diskussionen ... und vor allem der gemeinsame Wille, der Stimme der Jugend bei politischen Entscheidungsträgern Gehör zu verschaffen.

Diese Erfahrung war in vielerlei Hinsicht ein Moment der Weitergabe, des generationenübergreifenden Austauschs und der kollektiven Bewusstseinsbildung.

Youth4Peace, ein Moment der Erinnerung für die Zukunft

Einer der eindrücklichsten Momente der Woche war das Gespräch zwischen Franck Hyvernaud, Nachfahre eines Opfers des Massakers von Oradour-sur-Glane, und Karin Eideloth, Nachfahrin eines SS-Soldaten, der an jenem Tag am Tatort anwesend war. Die Begegnung war bewegend und verstörend, gab aber auch Hoffnung.

Bewegend, weil sie uns daran erinnerte, dass die Geschichte nicht in Büchern stehen bleibt: Sie setzt sich in den Familien fort, durch die Erinnerungen, das Schweigen und manchmal sogar durch die Schuldgefühle der Nachkommen. Beunruhigend, weil sie das beleuchtet, was Hannah Arendt die „Banalität des Bösen“ nannte. Wie kann ein Mann, der ein fürsorglicher Großvater war, Jahre zuvor an einem Massaker beteiligt sein? Wie können diese beiden Wirklichkeiten in einer Person nebeneinander existieren? Welchen Blick sollte man heute auf ihn werfen?

Aber es war auch ein hoffnungsvoller Moment: von zwei Vergangenheiten, die miteinander sprechen, sich die Hand geben; ein Moment der geteilten Erinnerung, die an die nachfolgenden Generationen weitergegeben wird, gemeinsam und ohne Hass.

Vor Ort waren mehrere junge Menschen und Betreuer:innen aus Ländern, in denen Krieg oder autoritäre Regime herrschen. Sie sprachen ebenfalls auf der Bühne und erzählten ihre Geschichte, was sie miterlebt hatten und welches Land sie zurückgelassen hatten. Diese teilweise erschütternden Erzählungen und geopolitischen Realitäten, die wir oft nur aus Zahlen oder Reden kennen, wurden menschlich. Auch das Konzept der Hoffnung wurde mit der musikalischen Darbietung des Gedichts „Contra spem spero“ („Gegen alle Hoffnung hoffe ich“) von Lesya Ukrainka bereits bei der Eröffnung von Youth4Peace deutlich.

Wir fuhren zum Konzentrationslager Sachsenhausen bei Berlin und hörten den Bericht von Bogdan Bartnikowski, einem ehemals Inhaftierten und Aufständischen aus Warschau und Überlebenden des Genozids an Jüdinnen und Juden. Seine Erzählung, gefolgt von einem Besuch des Lagers, hallte mit den Worten von Margot Friedländer nach, die wir bei der Eröffnung gehört hatten: „Was geschehen ist, kann nicht rückgängig gemacht werden. Aber es ist die Aufgabe jeder Generation, dafür zu sorgen, dass es nie wieder geschieht.“

Youth4Peace, ein Moment der Teilhabe

Die Teilhabe junger Menschen kann als ihre aktive Beteiligung an Aktionen definiert werden, die ihren Bedürfnissen, Interessen und Werten entsprechen und Auswirkungen auf ihre Gemeinschaft oder die Gesellschaft haben. Teilhabe beinhaltet die Fähigkeit, Projekte auf den Weg zu bringen, mitzugestalten und zu kollektiven Prozessen mit einem gemeinsamen Ziel beizutragen. Teilhabe setzt auch einen Raum für kritische Reflexion voraus, in dem junge Menschen ihre Ideen zum Ausdruck bringen, bestehende Normen in Frage stellen und zu Akteuren des Wandels werden können.

In acht Arbeitsgruppen wurden wir, die 80 jungen Menschen von Youth4Peace, aufgefordert, eine einfache, aber wichtige Frage zu beantworten: Was brauchen wir für den Frieden?

Aus diesen Antworten ergaben sich acht Schwerpunkte, die heute in der Youth 4 Peace Agenda verankert sind: Demokratie, Stabilität, Inklusion, Bildung, Gedenken, Gleichheit, Information, Partizipation.

Einige von uns hatten die Gelegenheit, das Dokument dem neuen Bundeskanzler Friedrich Merz, der Bundesjugendministerin Karin Prien und mehreren Vertretungen von Jugendorganisationen in Berlin vorzustellen. Nach dem Austausch mit dem Bundekanzler folgten Fragen und Antworten mit den jungen Menschen.  

Was Youth4Peace in Bezug auf die Jugendpartizipation besonders interessant machte, war der informelle Austausch zwischen den Teilnehmenden. Wir sind alle engagiert, aber unser Leben in den einzelnen Ländern und die persönlichen Erfahrungen sind je nach Land sehr unterschiedlich: Frankreich, Deutschland, Georgien, Belarus, Japan, USA, Ukraine, Kosovo etc.

Diese Diskussionen ermöglichten es uns, andere Kulturen und Denkweisen kennenzulernen, aber auch denjenigen eine Stimme zu geben, die man auf der internationalen Bühne kaum hört. Dies führte uns zu einer wichtigen Frage: Wie können wir die abwesenden Stimmen einbeziehen? Nicht nur für sie sprechen, sondern einen Raum schaffen, in dem sie sich auf ihre Weise und zu ihrer Zeit ausdrücken können?

Die Veranstaltung war für uns ein echtes Laboratorium für kollektive Reflexion. Es war ein Raum, in dem wir uns austauschen konnten, um das zu hinterfragen, was wir manchmal für selbstverständlich halten. Wir verglichen unsere Erfahrungen und lernten so, unsere Gewissheiten zu relativieren, unsere Situationen zu vergleichen und vor allem unsere Rolle in der Gesellschaft und das, was wir in unserem Maßstab verbessern können, zu hinterfragen.

Die in den informellen Gesprächen angesprochenen Herausforderungen waren vielfältig und eng miteinander verbunden:

  • Korruption und die Diskrepanz zwischen Regierungen und Zivilgesellschaft sowie die Schwierigkeiten beim EU-Beitritt der Balkanländer
     
  • Minderheitenrechte in Mitteleuropa
     
  • Osteuropa: Der Krieg in der Ukraine und die Unterdrückung in Belarus erinnern uns daran, dass Demokratie und Frieden nicht für alle Menschen selbstverständlich sind.
     
  • Abschottung, Schwächung des Multilateralismus und der Einfluss wirtschaftlicher Logiken auf das politische Leben in den USA
     
  • Humanitäre Krise in Israel und die schwierigen Friedensverhandlungen für ein Land, dessen Konflikt immer weiter andauert.
     
  • Westeuropa: Der Anstieg der Extreme, soziale Ungleichheiten und die Polarisierung der öffentlichen Meinung schüren ein angstbesetztes Klima, das vor allem die junge Menschen beunruhigt.

Junge Menschen auf der ganzen Welt teilen gemeinsame Ziele, obwohl sie in sehr unterschiedlichen Kontexten leben. Frieden wird nicht nur durch Institutionen geschaffen, sondern auch durch die Räume des Zuhörens, der Nuancen und des Einfühlungsvermögens, die wir gemeinsam schaffen.

Youth4Peace, ein Nachsinnen über unsere Verantwortung

Einer der Schwerpunkte unserer Arbeit war die Frage nach der Demokratie: Wie definiert man sie, wie lebt man sie? Ist es ausreichend, wählen zu gehen? Kann sich wirklich jeder Mensch beteiligen?

Gemäß Dewey J. (J., The Collected Works of John Dewey, 1888) ist Demokratie kein starrer Zustand: Sie ist ein lebendiger Prozess, der auf gemeinsamen Werten und aktiver Beteiligung beruht. Sie lässt sich nicht einfach auf ein politisches Regime oder auf ein institutionelles System reduzieren. Sie ist eine auf Werten basierende Organisation der Gesellschaft, deren Gleichgewicht ständig gemeinsam ausgehandelt wird.

Eine der Säulen der Demokratie ist das Recht auf gleichberechtigte Teilhabe: Jeder Mensch sollte die Möglichkeit haben, an gesellschaftsrelevanten Entscheidungen teilzuhaben — sowohl auf politischer als auch auf sozialer Ebene. In der Theorie bedeutet dies, die Vertretung aller Stimmen zu ermöglichen. In der Praxis werden jedoch viele Menschen ausgeschlossen oder benachteiligt: Soziale Ungleichheiten — Armut, Zugang zu Bildung, Sprachbarrieren, Diskriminierung usw. — können echte Teilhabe bremsen oder sogar verhindern. 

W. C. Parker (1996, Educating the Democratic Mind, S. 20) ruft uns in Erinnerung: „Es kann keine Demokratie ohne Demokraten geben. Und Demokraten werden nicht geboren, sondern gemacht.“

Hier spielt Bildung eine wesentliche Rolle. Sie ermöglicht die Entwicklung eines Gemeinschaftssinns, eines Bewusstseins für das Gemeinwohl und der notwendigen Kompetenzen, um selbstbestimmt zu leben. Insbesondere politische Bildung befähigt junge Menschen, zu verstehen, zu kritisieren, zu wählen und selbstständig zu handeln. Dafür eignet sich non-formale Bildung in Vereinen, Jugendprojekten oder im internationalen Austausch besonders gut. Denn sie schafft Räume, um zu experimentieren, sich frei auszudrücken und ermöglicht Lernen durch Handeln.

In meiner Arbeitsgruppe über die Entwicklung der Demokratie war eine Feststellung besonders herausfordernd für mich. Viele von uns waren in den sozialen Netzwerken nur passive Beobachter. Dennoch waren wir uns alle einig, dass die Medien, einschließlich der sozialen Netzwerke, derzeit neben der Exekutive, der Legislative und der Judikative die vierte Gewalt darstellen. Wir sind anfällig für Desinformation; Einmischungen aus dem Ausland bei Wahlen sind an der Tagesordnung, und dennoch unternehmen wir nichts gegen die Falschinformationen, die über unsere Bildschirme flimmern.  

Diese digitale Passivität ließ mich an das denken, was Václav Havel in The power of the Powerless (1978) beschreibt. Desinformation funktioniert durch die passive Beteiligung der Bürger, durch das Schweigen der beobachtenden, sich zurückziehenden Mehrheit, die einer sichtbaren Minderheit den Raum überlässt. Der beobachtende Nutzer führt „ein Leben in der Lüge“, indem er durch sein Schweigen verlogene Diskurse legitimiert. Daraus ergibt sich unsere digitale Verantwortung: Die Entscheidung, nicht zu handeln, nichts zu melden, nicht den Mund aufzumachen, ist eine Entscheidung, die nicht neutral ist. Wenn man anderen den Raum gibt, sich zu äußern, und sich dafür entscheidet, sich selbst unsichtbar zu machen, gibt man denjenigen die Macht, die das Wort haben. Dieses Verhalten ist umso gefährlicher, als es extreme Meinungen ohne Gegengewicht sichtbarer macht, unsere Wahrnehmung über die öffentliche Meinung verzerrt und die Illusion einer Mehrheit vermittelt.

Um im digitalen Zeitalter „in der Realität zu leben“, reichen Posts oder Engagment nicht aus. Man muss auch lernen, reagieren, Informationen überprüfen und Räume der Bürgerbeteiligung nutzen, um für sich zu sprechen. 

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Loli Chibko hat einen Masterabschluss in Internationalen Beziehungen und ist seit mehreren Jahren in der Jugend- und internationalen Zusammenarbeit tätig. Sie engagiert sich auf lokaler und europäischer Ebene, um den Dialog zwischen jungen Menschen zu stärken und dafür zu sorgen, dass die Stimme der Jugend bei politischen Entscheidungen ein echtes Gewicht hat.

Loli Chibko
Teilnehmerin aus Frankreich am Projekt Youth4Peace, Juniorbotschafterin Nouvelle-Aquitaine, Preisträgerin des Institut de l'engagement, Mitglied des Regionalrats von Nouvelle-Aquitaine